1. Der Rennplatz (1905 – 1941)
Im Jahre 1905 kaufen der Guts- und Brauereibesitzer Gustav Hullmann und sein Onkel, der Landwirt und Schlengenmeister August Hanken die Reste des altenSchellstede-Hofes. Auf dem Gelände errichten sie einen Rennplatz mit Zuschauertribünen und Nebengebäuden. Auf ihre Initiative hin findet ab 1907 jedes Jahr im Herbst das unter der Schirmherrschaft des Oldenburger Großherzogs stehende Landesturnier statt. Für die pferdebegeisterten Oldenburger aus Stadt und Land wird es zu dem Reitsportereignis schlechthin. Auch die gesamte oldenburgische Prominenz ist anwesend. 1912 gelingt einem Oldenburger Geschäftsmanneine Landung des Luftschiffes “Viktoria Luise” auf dem Rennplatz zu arrangieren. Etwa 15.000 Menschen von nah und fern strömen herbei, um dieses Ereignis mitzuerleben.
Nach dem ersten Weltkrieg werden die Pferderennen wieder aufgenommen, es finden aber auch andere gesellschaftliche Großveranstaltungen statt, die die Wünsche und Sehnsüchte vieler Menschen damals gut widerspiegeln. Die Faszination für die Luftfahrt zeigt sich anhand der Flugtage auf dem Rennplatz, auch diese wurden von Tausenden besucht. Daneben gibt es Turnfeste und Motorrad-Grasbahnrennen, wo u.a. der legendäre Rennfahrer Bernd Rosemeyer erste Erfolge feiert. Anläßlich einer vorgezogenen Landtagswahl kommt am 22.5.1932 Adolf Hitler nach Oldenburg und spricht vor 35.000 Zuschauern auf dem Rennplatz. Es ist die größte politische Veranstaltung, die es bis dahin im Oldenburger Land gegeben hat. Die NSDAP gewinnt die Wahlen mit 48,4% und bildet die erste rein nationalsozialistische Landesregierung im Deutschen Reich. Vor allem die von wirtschaftlichen Schwierigkeiten bedrängte Landbevölkerung setzt damals große Hoffnungen in die Nationalsozialisten. Nach einer mehrjährigen Unterbrechung werden 1937 die Landesturniere auf dem Rennplatz wieder aufgenommen, die jetzt die Bühne für viele örtliche Nazigrößen und deren Propaganda bilden. Wehrmacht, SA und SS beteiligen sich an den Rennen, Jagdflieger demonstrieren ihr Können mit spektakulären Schauflügen.
II. Die Lager auf dem Rennplatz (1942 -1945)
Im Jahre 1942 wird im Auftrag des Landesarbeitsamtes ein sogenanntes Ostarbeiterdurchgangslager auf dem Gelände des Rennplatzes errichtet. “Ostarbeiter” war die offizielle Bezeichnung für russische ZwangsarbeiteInnen. Das Lager mit 43 Holzbaracken ist für 3000 Menschen geplant, gegen Ende des Krieges leben dort aber über 4000. Die ZwangsarbeiterInnen werden an verschiedene Arbeitgeber weitervermittelt, dabei werden sie vor allem in der Landwirtschaft beschäftigt, aber auch bei dem Bau der Umgehungsstraße und in Rüstungsbetrieben eingesetzt. Insgesamt sollen so über 40.000 Personen durch dieses Lager gegangen sein. Das Lager selbst ist bewacht und von einem großen Zaun umgeben. Viele ältere und kranke Leute müssen eine längere Zeit in dem Lager verbringen. Die Verhältnisse sind katastrophal. Augenzeugen berichten von hungernden Russen, die Blätter von Bäumen reißen und essen. Vom 5.5.1944 bis zum 4.7.1944 tritt eine Fleckfieberepidemie im Lager auf, der zahlreiche Zwangsarbeiter zum Opfer fallen. Auf dem Ohmsteder Friedhof sind mindestens 324 “Ostarbeiter” beigesetzt, davon I11 Kinder unter zwei Jahren. Nach dem Krieg errichtet ein russischer Pope aus eigenen Mitteln ein großes orthodoxes Kreuz, daß an die Opfer erinnert.
einige Hundert Chinesen, Polen, Belgier, Holländer und Italiener. Neben dem Lager wird 1942 ein Kriegsgefangenenlager errichtet, wo etwa 80 französische und italienische Soldaten untergebracht werden.Am 17.4.1945 kommen bei einem Bombenangriff etwa 30 Gefangene um, die auBer selbst ausgehobenen Schutzgräben keinerlei Zufluchtsort haben. Am 3.5.1945 wird das Lager durch kanadische Truppen befreit. Viele der Lagerbewohner kehren in ihre Heimat zurück, wo sie dem Verdacht der Kollaboration mit Hitler ausgesetzt, vielfach nach Sibirien deportiert werden.
III. DP-Lager und Lettische Kolonie (1945 – 1959)
Bereits im Oktober 1944 kommen die ersten Flüchtlinge aus den baltischen Ländern am Rennplatz an. Nach Kriegsende werden die leerstehenden Baracken zum DP-Lager für Letten und Esten. DP, das ist die Abkürzung für “displaced persons” – verschleppte Personen, ein Sammelbegriff für alle Ausländer, die in Folge der deutschen Herrschaft ihre Heimat verlassen mußten. Die Flüchtlinge aus dem Baltikum haben sich zum großen Teil dem Rückzug der deutschen Truppen angeschlossen, als die sowjetische Armee immer weiter nach Westen drängt. Bis 1950 wird das Flüchtlingslager von Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen betreut Zwischen 1945 und 1950 wandern im Rahmen von großen Auswanderungsaktionen etwa 4000 Letten und Esten aus dem Lager aus. In Deutschland sehen sie keine Perspektive, deshalb gehen sie nach Großbritannien, USA, Kanada, Australien und Schweden. Während in den ersten Jahren das kulturelle Leben im Lager sehr vielfältig und entwickelt ist (u.a. gibt es eigene Schulen, in der Nähe sogar eine lettische Oper), wird es nach 1950 infolge der Auswanderung vieler Bewohner immer schwerer ein eigenes kulturelles Leben auf rechtzuerhalten. Dazu kommt, daß nur arbeitsfähige Leute auswandern dürfen, zurück bleiben Invaliden, Kranke, kinderreiche Familien und alte Leute. 1950 übernimmt die Stadt Oldenburg das Lager. Es wird zur lettischen Kolonie, mit 1000 Bewohnern das größtelettische Lager in der Bundesrepublik. Die Lebensumstände sind für viele schwierig. Dadurch, daß sie ihre Heimat verloren haben, oft nur mit einem Koffer in der Hand im Lager angekommen sind, sind die Menschen von der Versorgung durch andere abhängig. Aus vielen Ländern gibt es Sach- und Nahrungsspenden, die allerdings oft eine Versorgungsmentalität unter den Bewohnern fördern, die sowieso häufig resigniert und ohne Perspektive in den Tag hineinleben. Nur wenige schaffen es, sich in der deutschen Umgebung einzugliedern.
Der seit 1955 im Lager lebende Pastor Paulis Urdze organisiert zusammen mit dem Holländer Jan Kooi im Auftrag des ökumenischen Rates der Kirchen mehrere Workcamps, sogenannte Aufbaulager, in denen junge Leute aus aller Welt für einige Wochen am Rennplatz leben und arbeiten. 1957 gründet Pastor Urdze mit einigen anderen engagierten Leuten die “Selbsthilfe-Werkstätten”, um den Lagerbewohnern Arbeit zu verschaffen. In den 60er Jahren werden hier auch geistig behinderte Menschen beschäftigt – es entstehen die “Gemeinnützigen-Werkstätten”, heute der größte Arbeitgeber für geistig Behinderte in Oldenburg. 1959 wird endlich, viele Bewohner leben bereits 15 Jahre in den Baracken, das Barackenräumungsprogramm der Stadt Oldenburg in Angriff genommen – die Baracken werden abgerissen. Über 30 moderne Wohnblocks werden für die Bewohner gebaut.
IV. Die Rennplatzsiedlung
Im Laufe der Jahre haben sich insbesondere zu den iederlanden vielfältige Kontakte entwickelt. Das Jahr 1959 wird von der UNO zum Weltflüchtlingsjahr erklärt, in dessen Rahmen für das Lager Ohmstede durch über 800 holländische Jugendkomitees 700.000 DM gesammelt werden. Mit diesem Geld, mit Darlehen und Zuschüssen von deutschen, niederländischen und schwedischen Stellen wird das Lettische Jugend- und Kulturzentrum und ein Kindergarten gebaut, und am 12.4.1964 eingeweiht. Das Zentrum soll der lettischen Bevölkerung die Möglichkeit geben, ihre Kultur zu leben und gleichzeitig Stätte der Begegnung zwischen lettischen, holländischen und deutschen Jugendlichen sein.
Neben der lettischen Bevölkerung wohnen jetzt auch viele Deutsche in der Siedlung. Von der Stadt werden hier sogenannte Schlichtwohnungen für Familien mit sozialen Anpassungsschwierigkeiten errichtet, es entsteht das “Biberheim”.
Der seit den Zeiten des Fremdarbeiterlagers entstandene Ghettocharakter des Rennplatzes bleibt bestehen. Im Kulturzentrum wird deshalb eine der ersten Gemeinwesenarbeiten Deutschlands in Angriff genommen. Stadt, luth. Kirchengemeinde Ohmstede und das Kulturzentrum unterstützen das Projekt “Gemeinwesenarbeit”, das im Laufe der Jahre vielfältige Entwicklungen nimmt, dabei aber fast immer von finanziellen Schwierigkeiten begleitet ist. Trotzdem ist die Gemeinwesenarbeit mittlerweile eine etablierte Einrichtung geworden. Das zeigt sich u.a. daran, daß im Kulturzentrum unter Leitung von Jan Kooi Supervision für Sozialarbeiter aus ganz Niedersachsen durchgeführt wird.
In den 70er Jahren ziehen viele türkische und polnische Familien an den Rennplatz, die lettische Gruppe wird immer kleiner. Heute leben hier elf verschiedene Nationalitäten. Das Kulturzentrum versteht sich als interkultureller Treffpunkt für die Bewohner der Rennplatzsiedlung und wird von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Anspruch genommen.